Interview mit Nicholas Milburn (US)

Ich genieße gute Kletterbewegungen, die mir Freude bereiten. Manchmal finde ich diese Bewegungen in einer berühmten Route wie Biographie, manchmal in einer heillos erzwungenen 6c+ wie Le Petit Martien und manchmal finde ich sie beim Beklettern eines besonders coolen Baumes.

Nicholas Milburn - ein Sportler aus Louisiana (USA), der bisher eher unter dem Radar flog. Gut möglich, dass ihr bisher noch nichts von ihm gehört habt. Auch wenn er kein professioneller Kletterer ist, ließe seine Kletterleistung darauf schließen, dass er einer sein könnte!

Nicholas arbeitet als Software-Entwickler und in seiner Freizeit klettert er einige der schwierigsten Sportkletterrouten und Boulder in Amerika! Mit Begehungen wie Dreamcatcher oder Algorithm (beide französisch 9a, amerikanisch 5.14d) gehört er zu der elitären Gruppe von Kletterer*innen, die in der Lage sind, solch einen mythischen Grad zu klettern. Seine Stärke zeigt er außerdem an Boulderproblemen, wobei erwähnenswerte von ihm begangene Linien Testpieces wie Mind Shift (V14/8B+) in Tennessee oder Paint it Black (V15/8C) in den Rocky Mountains sind.

Kürzlich besuchte er die Tschechische Republik und forderte seine Kräfte und mentale Stärke an den riesigen Sandsteinwänden von Labské pískovce, dem „Elbtal“, heraus und bekam dabei sicher einige der tschechischen Sandkörner unter die Haut. Auf seinem Instagram-Account @nikolaimilburn könnt ihr euch ein kurzes Video anschauen, das Nicholas's Erlebnisse aus seiner Kletterzeit im Elbtal zeigt.

Wollt ihr mehr darüber erfahren? Was ist der Unterschied in der Herangehensweise an das Bouldern bei Fortgeschrittenen und Spitzenkletterer*innen? Wer ist Nicholas' größte Inspiration an den herausfordernden Tagen, an denen ihm die Motivation fehlt? Was tut er, um die Balance zwischen Leistung und Freude an der Bewegung beim Klettern nicht zu verlieren?

Lest das folgende Interview aus der Reihe STORIES mit dem US-OCÚN-Botschafter Nicholas Milburn.


Interview mit Nicholas

Hi Nicholas, könntest du dich den Lesern bitte kurz vorstellen? Wer bist du? Wo lebst du? Was machst du beruflich und was sind deine Leidenschaften?

Eine kurze Antwort auf die Frage, wer ich bin? Wenn ich mich nur gut genug kennen würde, um diese Frage in ein paar Sätzen zu beantworten. (schmunzelt)

Wie auch immer, ich koche gerne. Ich backe gerne. Ich klettere sehr gerne. Allein das Klettern an sich. Sicher, ich mag es, wenn meine Klettereien herausfordernd sind, aber vor allem genieße ich gute Bewegungen, die mir Freude bereiten. Manchmal finde ich diese Bewegungen in einer berühmten Route wie Biographie, manchmal in einer heillos erzwungenen 6c+ wie Le Petit Martien und manchmal finde ich sie beim Erklimmen eines besonders coolen Baumes.

Derzeit lebe ich in Boulder (Colorado), aber ursprünglich komme ich aus Lafayette (Louisiana), was zwei sehr unterschiedliche Orte sind. Beruflich bin ich Software-Entwickler. Im Grundstudium habe ich Physiologie studiert und das erworbene Wissen dann in meinem Aufbaustudium der Informatik mit dem Schwerpunkt „Data Science“ angewendet. Heute bin ich in keinem dieser Themenfelder mehr unterwegs, sondern arbeite an Backend-Systemen für ein mittelgroßes Technologieunternehmen, das sich mit Kreditkarten beschäftigt.

Nicholas: "Ich genieße gute Kletterbewegungen, die mir Freude bereiten. Manchmal finde ich diese Bewegungen in einer berühmten Route wie Biographie, manchmal in einer heillos erzwungenen 6c+ wie Le Petit Martien und manchmal finde ich sie beim Beklettern eines besonders coolen Baumes."

Du hast schon in sehr jungen Jahren mit dem Klettern begonnen. Mit 8 Jahren bist du bereits deine ersten Routen vorgestiegen. Siehst du das rückblickend als Vorteil, oder hättest du, wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, lieber abwechslungsreichere Aktivitäten und mehr Vielseitigkeit bei den Sportarten gehabt?

Ich bin in einer Kletterfamilie aufgewachsen, war also mein ganzes Leben lang mit dem Klettern beschäftigt, aber ich würde nicht sagen, dass ich mich zu früh spezialisiert habe. Meine Eltern haben mich nie dazu gezwungen, ich kam einfach schon früh damit in Berührung. Die meiste Zeit meiner Kindheit habe ich damit verbracht, im Dreck zu spielen, während meine Eltern kletterten. Je älter ich wurde, desto motivierter wurde ich zu klettern, aber das war meine eigene Entscheidung. Ich beschloss, mich beim Klettern mehr anzustrengen, weil ich es wollte.

Irgendetwas am Klettern hatte eine natürliche Anziehungskraft auf mich. Meine Eltern unterstützten mich und ermöglichten es mir, den Sport so zu betreiben, wie ich es getan habe. Nun ja, meine Mutter zwang mich, meine Sturzangst zu überwinden, indem sie mich eine Reihe von Vorstiegsstürzen machen ließ, aber insgesamt bin ich für diesen Anstoß dankbar.

Ich glaube, meine größte Stärke beim Klettern ist meine Fähigkeit, mich intuitiv an der Wand zu bewegen. Ich glaube, dass mein früher Start dabei sehr geholfen hat. Ich denke darüber hinaus, dass die Vielfalt der Aktivitäten, mit denen ich aufgewachsen bin, dazu beigetragen hat, einschließlich Einradfahren.

Nicholas: “Alles, was wir tun, vereint sich zu dem, was wir sind.”

Viele von uns europäischen Kletter*innen würden gerne einmal im Leben in Amerika klettern gehen. Legendäre Klettergebiete wie Yosemite, Indian Creek und Joshua Tree ziehen uns stark an. Welches Gebiet sollten sich Kletter*innen aus Europa nicht entgehen lassen? Welche Art von Klettern bietet Ihr Heimatort Boulder und die Umgebung von Colorado?

Ehrlich gesagt würde ich sagen, lasst Colorado aus und geht in den Südosten. Ich bin mir sicher, dass viele Leute mich spöttisch belächeln werden, wenn sie das lesen, und sie haben gute Gründe dafür, aber Colorado ist nicht mein bevorzugtes Klettergebiet in den USA (außer Rifle, ich liebe diesen Ort). Colorado hat ein wenig den Hollywood-Effekt, da ein großer Teil der Klettermedien aus Colorado kommt, so dass es medial übermäßig repräsentiert ist. Durch diesen hohen Bekanntheitsgrad steht Colorado ganz oben auf der Liste des „zu Erlebenden“. Das Klettern in Colorado hat zwei große Anziehungspunkte: die ganzjährig guten Bedingungen und die riesige Sammlung harter Boulderprobleme. Wenn eines dieser beiden Dinge euer Interesse weckt, dann ist das Klettern in Colorado vielleicht was für euch.

Meiner Meinung nach zählt der erstklassige Sandstein im Südosten der USA zu dessen größtem Kapital in Sachen Klettergebiete. Ich habe einen großen Teil meines Kletterlebens in Tennessee und Alabama verbracht, um an diesem schönen Sandstein des Südens zu klettern. Der Fels in diesem Teil des Landes gehört zum Besten der Welt. Ich habe zwar noch nicht alle Felsen der Welt gesehen, aber ich bin dennoch von dieser Aussage überzeugt. Die Bewegungen sind wunderschön. Es ist einfach ein Vergnügen, sich an Felsen zu bewegen, an denen es mehr um fließende Körperbewegungen geht als um das Durchziehen ausgebrochener Leisten an zerborstenen Blöcken. Natürlich ist das alles eine Frage der persönlichen Vorlieben. Im Osten der USA gibt es mit der Red River Gorge und der New River Gorge zwei weitere Sandsteingebiete von Weltrang, die kletterswert sind.

Nicholas: "Die Felsen in den südöstlichen Sandstein Regionen der USA gehören zu den besten der Welt. Ich habe zwar noch nicht alle Felsen der Welt gesehen, aber ich bin dennoch von dieser Aussage überzeugt..."

Wie fühlt es sich an, Boulder im Schwierigkeitsgrad V15 (8C) zu klettern? Kannst du es den fortgeschrittenen Kletter*innen, die etwa V8 bis V10 klettern, ein wenig näherbringen? Hast du Tipps, wie man trainiert und was man tun kann, um sich schrittweise im Schwierigkeitsgrad zu steigern?

Ich bin mir nicht sicher, ob das Klettern an sich so unterschiedlich ist, aber es gibt Unterschiede in der Art und Weise, wie fortgeschrittene und erfahrene Kletter*innen einen Boulder angehen. Ein fortgeschrittener Kletterer oder eine fortgeschrittene Kletterin kommt vielleicht zu einem Boulder, wirft alle Crashpads darunter und startet die Session. Wenn High-Level-Kletter*innen an einem Boulder auftauchen, stapeln sie wahrscheinlich alle Pads aufeinander und klettern darauf, um alle Griffe zu ertasten. Sie versuchen, so viele Informationen wie möglich zu sammeln und dabei so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen. Wenn sie mit dem Klettern beginnen, konzentrieren sie sich immer noch auf das Sammeln von Informationen und versuchen es erst dann von unten, wenn sie alle nötigen Informationen zusammen haben. Sie wissen, dass sie eine begrenzte Anzahl von Versuchen haben, bevor sie zu müde werden. Der Kletterpart mag gleich aussehen, aber fortgeschrittene Kletterer*innen achten sehr auf die kleinen Details, die in der Summe einen großen Unterschied machen.

Darüber hinaus wissen Spitzenkletter*innen, dass etwas, nur weil es sich extrem schwer anfühlt, nicht unmöglich ist. Selbst wenn sie die Bewegungen an diesem Tag nicht ausführen, gehen sie nicht davon aus, dass sie es nicht schaffen. Sie entscheiden vielleicht, dass sie mehr trainieren müssen, aber sie schreiben es nicht als unmöglich ab.

Nicholas: „Spitzenkletter*innen wissen, dass etwas nicht unmöglich ist, nur weil es sich extrem schwer anfühlt.“

Wie hast du dich auf den Boulder The Game (V15/8C) vorbereitet? Wie viel Zeit hast du mit dem Training verbracht und wie lange hast du gebraucht, um ihn durchzusteigen? Wie verlief der gesamte Prozess?

Ich habe nicht speziell für The Game trainiert. In den paar Jahren, bevor ich mich auf The Game konzentrierte, habe ich gut gebouldert. Ich kletterte eine ordentliche Anzahl harter Boulder und hatte das Gefühl, dass ich eine gute Dynamik hatte. Ich weiß noch, dass ich dachte, ich sollte vielleicht langsamer machen, damit sich mein Körper erholen kann. Dann ging ich zu einem lokalen Boulderwettbewerb und es lief gut. Im Finale habe ich mir dann am ersten Boulder ein Ringband zerlegt. Ich nutzte die nächsten Monate, um mich zu erholen und Physiotherapie zu machen. Motiviert war ich immer noch, also suchte ich nach einem guten Boulder für mein Comeback. The Game liegt nahe, wenn man in Boulder wohnt, also habe ich es dort versucht.

Ich war etwas überrascht zu erfahren, wie subtil technisch The Game ist. Ben Burkhalter und ich haben etwa die Hälfte der Zeit damit verbracht, anzumerken, wie schwierig es war, zu lernen, wie man den ersten Griff halten muss. Der Unterschied zwischen der richtigen und der falschen Stelle war ein nicht messbarer, mystischer Kristallunterschied, aber er war mit der Zeit erlernbar.

In dieser Saison brauchte ich etwa 6 Tage, um den Boulder zu schaffen. Ich habe The Game im Laufe der Jahre ein paar Mal ausprobiert, aber bis zu diesem Jahr war ich nie stark genug gewesen, um alle Züge zu machen. Ich habe viele Tage damit verbracht, die Schlucht hinaufzufahren, um Schnee vom Top zu fegen, was etwas zeitaufwändig war, aber das gehört dazu, wenn man an einem Ort lebt, an dem es schneit.

Nicholas: "Der Unterschied zwischen der richtigen und der falschen Stelle war ein nicht messbarer, mystischer Kristallunterschied, aber er war mit der Zeit erlernbar."


Nicholas und unsere Kletterschuhe

Nicholas findet Gefallen an unseren Ozone-Kletterschuhen, und es ist leicht nachzuvollziehen, warum. Mit ihrer asymmetrischen Form, dem präzisionsgefertigten 3-Force-System, dem griffigen Toehook-Patch und der perfekt sitzenden Ferse bieten sie hervorragenden Halt auf Mikrokanten, Leisten und Pockets. Es ist eine neue Dimension an Präzision und Sensibilität, in die diese Schuhe vordringen, was sie zur perfekten Wahl für technisches Klettern und Bouldern macht.

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Wer ist deine größte Inspiration? Wodurch lässt du dich in schwierigen Zeiten im Leben motivieren und antreiben?

Ich versuche, mir Inspiration aus vielen verschiedenen Richtungen zu holen. Ganz oben auf meiner Liste steht natürlich Chris Sharma. Als ich anfing, mich unmotiviert zum Bouldern zu fühlen, habe ich mir einfach Sharmas video von Biographie angesehen, und plötzlich erinnerte ich mich daran, wie gern ich diese Route klettern wollte.

Ich finde die Arbeit, die Jimmy Webb in das Entwickeln von Bouldern steckt, sehr bewundernswert. Die Art, wie Daniel Woods Griffe durchziehen kann und tun kann, was immer er möchte, sobald er einen gepackt hat, ist unglaublich. Wie Margo Hayes Biographie hinauf tanzte, war eine wunderschöne und elegante Art und Weise zu klettern. Michaela Kiersch’s Biss, The Golden Ticket zu klettern, obwohl es einen Extra-Dyno gab, den niemand sonst klettern musste. Ich bewundere auch, dass sie 5.14c geklettert ist, obwohl es wahrscheinlich noch härter war. Ihre Leistung spricht für sich selbst.

David Graham für sein technisches Können, sein tiefes Verständnis für Kletterbewegungen und seine Fähigkeit, diese Bewegungen zu vermitteln. Ich bewundere, wie Greg Kerzhner seine Karriere als Softwareentwickler mit dem Klettern vereinbart hat.

Ich hatte bisher nicht allzu sehr mit der Motivation zu kämpfen, aber ich habe trotzdem Höhen und Tiefen. Ich akzeptiere diese Höhen und Tiefen. Wenn ich keine Lust habe, hart zu trainieren oder mich auf ein Megaprojekt zu konzentrieren, dann mache ich einfach Sachen, die mir Spaß machen. Früher hatte ich immer einen Zettel in meiner Brieftasche, auf dem stand: „Denk daran, wie sehr du es willst“. Das sollte mir helfen, mich an den Antrieb zu erinnern, den ich in mir trage, wenn ich mich zu Hause träge fühlte.

Das alles mag verwirrend und widersprüchlich klingen. Das liegt daran, dass es nicht nur den einen Weg vorwärts gibt. Manchmal ist es am besten, sich zu entspannen und abzuschalten. Manchmal ist es am besten, sich anzustrengen, sich aufzuraffen und hart zu arbeiten. Der Trick besteht darin, zu wissen, welcher Weg im jeweiligen Moment der bessere ist.

Nicholas: "Es gibt nicht nur einen den Weg vorwärts. Manchmal ist es am besten, sich anzustrengen, sich aufzuraffen und hart zu arbeiten. Der Trick besteht darin, zu wissen, welcher Weg im jeweiligen Moment der bessere ist."

Und wie sieht es mit der Ausgewogenheit innerhalb des Kletterns aus? Ich meine die zwischen Leistung und Steigerungsdrang und dem Klettern aus reiner Freude an der Bewegung?

Als ich noch ein kleiner Kerl war und bei Jugendwettkämpfen Toprope kletterte, wurde ich bei den Jugendmeisterschaften interviewt. Der Interviewer fragte mich, warum ich klettere und was mich motiviert, immer weiterzumachen. Ich antwortete einfach: „Es macht Spaß.” Lange Zeit machte man sich in meiner Familie darüber lustig, wie wortkarg ich war. Eine Zeit lang hat mich das beschäftigt, aber jetzt bin ich stolz auf diese Antwort, und ich glaube immer noch, dass sie wahr ist. Ich klettere, weil es mir Spaß macht.

Ich bin stolz, wenn ich hart trainiere, um ein fernes Ziel zu erreichen. Ich bin stolz, wenn ich mich in einen Runout wage, der mir Angst macht. Ich kann aus den letzten Zügen meines Projekts fallen, vor Frustration schreien und trotzdem zufrieden mit mir sein, wenn meine Füße den Boden berühren. Ich schätze die Erfahrung, neue Klettereien auszuprobieren, und auch diejenige, mich auf eine zu konzentrieren. Die Freude an der Bewegung kann man überall finden. Man muss sich nur umsehen.

Nicholas: “Die Freude an der Bewegung kann man überall finden. Man muss sich nur umsehen.”

Du hast eine berühmte und sehr schwierige Route namens Flex Luthor geklettert, die von Tommy Caldwell erstbegangen wurde. Wie würdest du sie einordnen und was hat diese Route dir bedeutet?

Flex Luthor ist die komplizierteste Kletterei, die ich je gemacht habe. Die Erfahrung, die ich in dieser Route gemacht habe, habe ich sehr genossen. Als ich an der Wand ankam, sah es so aus, als hätte noch niemals jemand diese Route geklettert. Das einzige Anzeichen dafür, dass jemand dort gewesen war, war, dass die Linie eingebohrt war. Die Griffe waren schmutzig (manchmal waren sie mit Dreck gefüllt), das Material war lose und nirgends war Chalk. Es kostete mich einiges an Arbeit, um die Linie überhaupt zu erkennen. Die einzige Beta, die ich hatte, waren ein paar kurze Sequenzen, die Reel Rock auf Instagram gepostet hatte, und ein paar allgemeine Hinweise von Ben Spannuth für den Crux-Boulder, aber es gab immer noch einige Sequenzen, die ich nicht verstanden habe.

Nachdem ich ein paar Tage lang versucht hatte, die Beta zu lernen, war ich immer noch verwirrt, also rief ich Matty Hong an, und er führte mich am Telefon durch die gesamte Sequenz. Mit seiner Hilfe konnte ich mich schließlich auf eine Methode festlegen und sie einüben. Ich genieße diesen Entdeckungsprozess.

Erstbegeher*innen passiert das ständig, aber ich habe es in einer Route gemacht, die schon von drei Leuten begangen worden war, und ich war trotzdem verblüfft. Zum besseren Verständnis: Ich bin verdammt gut darin, Betas zu finden. Wenn wir Kletterrouten bewerten, berücksichtigen wir dabei nicht die Arbeit, die uns die Linienfindung macht. Ich denke nicht, dass wir das unbedingt tun sollten, aber es lohnt sich, manchmal darüber nachzudenken. Es ist eine völlig andere Erfahrung, wenn man sich blind auf den Weg macht, als nachdem man sich sämtliche verfügbaren YouTube-Videos angesehen hat. Ich empfehle, beides zu tun. Beide Wege sind lehrreich.

Nicholas: "Es ist eine völlig andere Erfahrung, wenn man sich blind auf den Weg macht, als nachdem man sich sämtliche verfügbaren YouTube-Videos angesehen hat.”

Du hast kürzlich die Tschechische Republik und das einzigartige Felsengebiet „Elbtal“ besucht (mehr über das Gebiet in diesem Artikel: Böhmisches Sandsteinparadies „LABÁK“). Was hältst du von diesem Gebiet? Wie hat dir der lokale Kletterstil und die Ethik gefallen? Kannst du es mit dem Klettern in Amerika vergleichen und was dich am meisten überrascht?

Ich wusste vor meiner Reise nur sehr wenig über das tschechische Klettern, aber Jenny und Žiži haben mir einen kurzen Überblick über die Ethik, die Geschichte und das, was mich erwartet, gegeben. Die Bewegungen und der Fels erinnerten mich sehr an den Südosten der Vereinigten Staaten. Ich fühle mich an dieser Art von Sandstein sehr wohl, so dass ich mich in dieser Hinsicht wie zu Hause fühlte.

Der Teil, der sich nicht wie zu Hause anfühlte, waren die absurden Runouts und die unnötige Gefahr, die davon ausging. Ich habe es geliebt. Das erste Stück, das ich kletterte, war eine 60m lange 5.11-Kletterei mit 6 Bohrhaken. Ich glaube, an einem Punkt war ich in einem 30 Meter langen Runout. Vielleicht übertreibe ich, aber das ist egal, denn wenn ich gestürzt wäre, wäre ich mit Sicherheit gestorben.

Ich riskiere vielleicht, arrogant zu klingen, aber gut gesicherte 5.11er zu klettern ist für mich oft ziemlich langweilig. Wenn man jedoch genug Bohrhaken weglässt, um den Tod zu einer realen Möglichkeit zu machen, ist das Klettern plötzlich ganz anders vereinnahmend. Ich genieße die Konzentration, die diese Art zu klettern mit sich bringt. Ich ziehe es zwar meistens vor, gut gesichert zu sein, aber ich schätze auch andere Erfahrungen.

Ich denke, dass der Kletterstil ein wirklich wichtiger Teil unseres Sports ist. Ich bin für Dinge wie nicht vorgeklippte Haken, sparsamen Umgang mit Knieklemmern und Klettern der ursprünglichen Beta. Natürlich ist das alles eine Ermessensfrage und ich mache es einfach nach Lust und Laune. Jedenfalls ist tschechisches Klettern eine Frage des Stils. Ich habe den Eindruck, dass die Art und Weise, wie jemand in Tschechien eine Route klettert, genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger ist, als die Tatsache, dass sie oder er sie überhaupt geklettert hat. Ich denke, das ist ziemlich cool.

Nicholas: "An einem Punkt war ich in einem 30 Meter langen Runout. Vielleicht übertreibe ich, aber das ist egal, denn wenn ich gestürzt wäre, wäre ich mit Sicherheit gestorben."

Wie arbeitest du mit deiner mentalen Einstellung? Trainierst du auch diesen sehr wichtigen Teil des Kletterns? Kletter*innen haben häufig Sturzangst, aber es ist immer noch ein Thema, über das in der Community nicht viel gesprochen wird. Was würdest du jedem empfehlen, der an sich arbeiten und die Grenzen seines Kopfes erweitern möchte?

Manchmal tun Leute das, was ich über den Umgang mit der Angst beim Klettern zu sagen habe, ab, weil „ich keine Angst habe“. Das nervt mich irgendwie. Erstens ist das einfach unzutreffend. Zweitens habe ich hart gearbeitet, um die Einstellung zu erreichen, die ich jetzt habe.

Als ich mit dem Vorstiegsklettern anfing, habe ich mich regelrecht gefürchtet. Ich weiß noch, wie ich mich weinend an einer 5.6 hochgearbeitet habe, während meine Mutter mich gesichert hat. Als ich alt genug war, um bei Wettkämpfen zu klettern, ließ mich meine Mutter draußen eine Route klettern und stürzen. Wieder und wieder und wieder. Langsam kletterte ich die Route einen Zug nach dem anderen hoch und stürzte dabei immer wieder. Dieser eine Tag hat mich zwar nicht von meiner Angst geheilt, aber ich habe gelernt, mit ihr umzugehen. Ich glaube, der Fachbegriff lautet „progressive Desensibilisierung“. Sich einem immer größeren Reiz auszusetzen, um eine Angst zu überwinden, ist eine großartige Methode, um sich mit allen Arten von Ängsten vertraut zu machen.

Genau das habe ich vor ein paar Monaten beim Projektieren von Biographie getan. Ich finde es hilfreich, immer wieder zu versuchen, mich selbst zu pushen, und sei es nur ein bisschen. Dann gibt es am Ende des Tages etwas, auf das ich stolz sein kann. Es findet sich immer etwas. Es könnte sein, dass ich einen neuen Höchstpunkt für mich in einer Route erreicht habe, einige Beta-Verbesserungen gemacht habe, einen furchterregenden Sturz überstanden habe oder tolle Snacks gegessen habe.

Nicholas: "Ich glaube, der Fachbegriff lautet „progressive Desensibilisierung“. Sich einem immer größeren Reiz auszusetzen, um eine Angst zu überwinden, ist eine großartige Methode, um sich mit allen Arten von Ängsten vertraut zu machen.”

Wie bist du ein OCÚN ambassador geworden und was schätzt du am meisten an dieser Zusammenarbeit?

Ich bin durch einen glücklichen Zufall Ocún-Botschafter geworden. Ich war etwa 10 Jahre lang Five Ten-Athlet. Vor etwa zweieinhalb Jahren traf ich die nordamerikanische Ocún-Marketingchefin im örtlichen Fitnessstudio. Ich habe wohl einen guten Eindruck hinterlassen, denn sie empfahl mich Jenny. Ich hatte ein Treffen mit Jenny und alles schien zu passen.

Ich schätze es, dass ich offen und frei mit den Leuten von Ocún reden kann. Ich habe das Gefühl, dass ich mit dem Unternehmen zusammenarbeiten kann, anstatt nur die Marke zu „repräsentieren“. Ich habe Spaß am Produktdesign, und ich kann meine Gedanken aufschreiben, und jemand liest sie. Hoffentlich finden die Leute, die meine Designideen lesen, sie nützlich.

Vielen Dank für dieses (tiefgründige und tiefsinnige) Interview, und ich hoffe, wir werden in Zukunft noch viel von dir hören. Ich wünsche dir einen schönen Tag und viel Glück mit allem, was dein Leben betrifft. Cheers!